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Donnerstag, 20. Oktober 2011

Occupy Hirn

(Bild: Ein Sturm verschwindet in einem neoliberalen Wasserglas.)



Die internationale Occupy-Bewegung hat am 15.10.2011 Hunderttausende auf die Straßen gebracht. In 82 Ländern haben in insgesamt 951 Städten Menschen gegen die Macht der Banken demonstriert. In Madrid waren es 500.000, in Barcelona 140.000, in Athen 7.000, in Paris 5.000, in Santiago de Chile 60.000, in New York 250.000, in Brüssel 6.000, in Berlin 8.000 und in Frankfurt 8.000 Protestierende, die sich von Banken und den Regierungsparteien mit ihren korrumpierten Politikern nicht länger auf der Nase herumtanzen lassen wollen. In Rom gab es Samstagnacht Krawalle, in Berlin blieb es friedlich.

Soweit so schlecht, neue Widerstandsmärkte entstehen, falsche Politiker und findige Geschäftsleute stehen bereit, diese Märkte abzusahnen und in den globalen neoliberalen Putsch einzugemeinden. Schon wird den Occupy-Kindern von verschiedenster Seite Hilfe angeboten. Bänker lassen die Widerständler auf ihre Toiletten (z.B. HSH Nordbank), Oppositionspolitiker weltweit versuchen sich als überzeugte Regulierer zu gebärden, obwohl sie selbst seit den Achtzigern die Deregulierung der Märkte und die Vernichtung eines rudimentären sozialen Bildungssystems ganz konkret zu verantworten haben.

Aber bleiben wir kurz bei der HSH Nordbank in Hamburg, die Protestler schlugen ihre Zelte vor dem Bankhaus auf, die Bänker boten ihnen die Nutzung der Sanitärräume und ein Notstromaggregat an, die Symbolik hinter diesen Vorgängen ist interessant. Die Angestellten der Landesbank begrüßen damit das Engagement der Demonstranten und beteiligen sich an der Widerstandsarbeit gegen die korrupten Politiker. Sie gemeinden damit die engagierten Empörten in ihrer Strategie gegen das Politische zu 100% ein, in ihren defakto neoliberalen Putsch, der die Gewinne zur Gänze privatisieren möchte und die Verluste sozialisiert, indem sie den Steuerzahlern übergeholfen werden, und damit Sozialstaat, Schulwesen und Gesundheitsversorgung für alle abgeschafft wird. Die empörten Stadtcampingfreaks schaffen sich selbst ab und echauffieren sich letztlich nur gegen sich selbst, sie helfen damit, mag sein durchaus unbewusst, den Putschisten aus freier Marktwirtschaft und den Finanzmärkten.

Schon ist im weltweit effektivsten Überwachungswerkzeug Facebook auf einschlägigen "Demokratieseiten" unter vielem anderen Mist zu lesen, "das deutsche Volk müsse sich wehren, Politiker sollten aufpassen, wenn sie sich auf der Straße sehen lassen, usw.", ja selbst Dalai Barack Obama himself versucht, mit der schlichten Systemkritik der Empörten Wahlkampf zu betreiben. Spätestens jetzt müsste allen auffallen, dass diese Bewegung destruktiv-widersprüchlich ist und eigentlich einer Art billigem Konsumentenaufstand gleichkommt.

Wenn junge deutsche Menschen für mehr Demokratie im Allgemeinen und rein gar nichts im Besonderen auf die Straße gehen, bedeutet dies eher, sie haben Zukunftsangst im Sinne von "kann auch ich mir den Lebensstandart meiner Eltern leisten?". Wenn am selben Tag die völlig chancenlosen Jugendlichen in Südeuropa auf die Straße gehen und eigentlich nur für Chancengleichheit demonstrieren, bedeutet dies etwas völlig anderes. Somit gingen die Empörten in aller Welt gegeneinander auf die Straße, wiederum ohne es zu merken. Die demokratisch beschlossenen Programme der einen sind eben die Ausbeutung und Unterwerfung der anderen. Wenn das deutsche Parlament demokratisch beschließt U-Boote nach Griechenland verscherbeln zu lassen, obwohl klar ist, dass diese sie nicht bezahlen können, um Jahre später über das Unvermögen der Griechen zu lamentieren, dann zeigt dies die tödliche Ambivalenz einer sinnfreien Forderung nach mehr Demokratie in Einzelnationalstaaten.

Ob uns ein fast 100-jähriger Widerstandskämpfer Gutes tat, indem er einem Verlag sein Traktat "Empört Euch" zur profitträchtigen Vermarktung überließ und billige telegene "Neil Diamond Typus" Philosophen uns oberflächlichsten Dagegen-Quatsch vorbeten, auf das wir das Politische endgültig beerdigen und uns damit als politisches Subjekt selbst abschaffen, ist die Frage die es zu beantworten gilt.

Empörung genügt nicht, ab einem gewissen Grad wird sie sogar zur Gefahr, da sie der Demagogie und Telegogie Tür und Tor öffnet. Organisation, Diskussion und Entschleunigung wären angesagt, dies würde aber mit Sicherheit Wohlstandsverlust bedeuten, und damit kommt die Occupy-Bewegung ganz schnell an ihre Grenzen, entstand und speist sie sich doch primär aus der Angst, an der Wohlstands- und Glitzerdemokratie nicht teilnehmen zu können.

Globale Forderungen wären notwendig. Für eine Bewegung, die noch nicht einmal weiß, ob sie nun für oder gegen Globalisierung ist, oder wie weit die demokratischen Ansätze in den Nochnationalstaaten tatsächlich sind, wird dies ein fast unmögliches Projekt.

Schön ist, dass sich die Jugend der Welt politisiert, noch schöner wäre, wenn sie weltweit eine Finanztransaktionssteuer einfordern würde, anstatt von einer Demokratie zu schwärmen, die es noch nie gab und die es unter neoliberalen/freien Marktbedingungen gar nicht geben kann. Auch ein Weg zu mehr Demokratie und weniger Finanzmacht wäre, keine Bankkarten zu verwenden, den eigenen Konsum zu hinterfragen und tatsächlich neue Strukturen zu versuchen, ja zu bauen. Zelte sind dazu zu temporär, es bräuchte schon festere, gewichtigere Argumente. Ansonsten besteht zumindest unterhaltungstechnisch die Chance, dass dies eine Art Revolution ist, die ihre Kinder frisst, noch bevor sie begonnen hat. Aber dieser Gedanke wäre wohl zu zynisch, darum ist es besser ihn zu verdrängen.

Widerstand und Politik sind auch nur Märkte, und die Macht der Banken speist sich aus unserer eigenen Gier, Aufmerksamkeitsstörungen und unserem Konsum. Darum erstmal Forderungen formulieren und diese dann schrittweise durchsetzen.

- Occupy your Brain now!

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