Tech-Zäsur 2011 oder das mögliche Ende des freien Marktes
In Japan fliegt uns wieder einmal ein fettes Atomkraftwerk um die Ohren, vier Reaktoren brüten und schmelzen vor sich hin, insgesamt umgeben von 16 Stück Abklingbecken für ausgebrannte Brennstäbe. Diese Becken werden ebenfalls zur Katastrophe, sollte die thermische Entwicklung so weitergehen wie bisher. Das Schmurcheln, Schmelzen und Isotopen-Schleudern hat erst begonnen, und es kann lange dauern, sehr lange. Die Verseuchungen sind nicht absehbar, die Mutation der postatomaren Welt des einzelnen sowie der sozialen Zusammenhänge auch nicht.
Eines ist aber jetzt schon klar, die fantastische Nukleartechnologie hält das Universum zusammen und funktioniert überaus beeindruckend, vom höchsten Niveau der solaren Kernfusion (die Sonne ist eine extrem schmutzige Kernfusionsanlage in der Wasserstoff zu Helium fusioniert und gigantische Strahlenmengen emittiert werden, die unter anderem das Leben auf der von uns in abgrundtiefer Schlichtheit verseuchten Erde erst möglich machen) bis zur medizinischen Nutzung von radioaktiven Stoffen etc.
Diese Technologie ist von Gier und Neid getriebenen Wettbewerbsspezies nicht beherrschbar, die entstehenden Verwerfungen, also Halb-, Mittel-, Lügen- und SuperGaus, treiben diese Spezies in der Zeit immer weiter zurück, wir werden noch sehen, wie es in einer Art elektronischem LowTechmittelalter so sein wird. Der Sozialstaat ist, so überhaupt noch vorhanden, fast abgeschafft. Aus Klassenkampf in den Metropolen, bei dem zumindest noch einzelne gesellschaftliche Gruppen gegeneinander antraten, ist eine konsumfaschistische Wettbewerbsgesellschaft geworden. Jeder/e versucht den Mitmenschen in irgendeiner Form zu übervorteilen, betrügen, auszunehmen oder sonst wie zu schlagen. Zu beobachten ist beinah eine paradoxe Form von faschistoider Anarchie, die noch eingehender untersucht werden sollte.
Alles letztlich ein Ergebnis des freien Marktes und damit eines pathologischen, wirtschaftsliberalen Weltbildes, das nicht funktionieren konnte und kann.
Privates ist immer engstirniger, kleiner und schlichter als Gesellschaftliches, auch in Wirtschaft und Technologie. Der Privatkonzern TEPCO kann seine Störfälle nicht in den Griff bekommen, null Plan für das Unwahrscheinliche, den Supergau. Sobald der Konzern zahlungsunfähig ist, hat die Regierung zu übernehmen, ob sie will oder nicht, die Katastrophe und ihre Folgen werden sozialisiert. Die Steuerzahler müssen den Schaden bezahlen, die Manager aber üben sich in halbseidener Selbstkritik und trauern den goldenen Zeiten bei einem Glas Champagner auf ihren 30m Yachten nach.
Die Atomkatastrophe ist nur ein dreckiges Spiegelbild der Finanzmarktzäsur(krise), private Profitpiraten geraten in Schwierigkeiten und rauben unter Zuhilfenahme des "Politischen per se" die Gesellschaft skrupellos aus. Unsere Steuern dienen schon längst nicht mehr der Gesellschaft sondern nur den Banken und Anlegern, also privaten Reichen und Superreichen, zur Finanzierung von Zinsen und Zinseszinsen für Staatsanleihen, die auch von privaten Anlegern gekauft werden etc.. Die Folgen dieses Verbrechens, sehen wir bei uns jeden Tag, Wegwerfarchitektur/-städtebau, Leerstand als Geschäfts- bzw. Steuersparmodell für selbsternannte Geldeliten und steigende Mieten trotz leerer Häuser. Faule Politiker genießen ihre Machtlosigkeit und hohe Löhne.
Der Staat als Räuber kann aber nicht funktionieren. Da die Räuberei mittels demokratischer Diskussion jedoch nicht beendet werden konnte, fallen uns die tatsächlichen Verhältnisse heute auf den Kopf. Die Technologien, die wir unter Kriegs- und Marktbedingungen entwickelt haben, sind Unfug und taugen nicht. Parlamentarische Demokratie ist eben nur ein anderer Begriff für "Massenmanipulation zur Profitmaximierung einer egomanischen Kapitalelite".
Ein Möchtegernphilosoph brachte unlängst ein Bändchen auf den Markt mit dem Titel "Wir müssen unser Leben ändern" (oder so ähnlich, ich habe diesen Unfug leider schon wieder verdrängt...), er fabuliert darin u.A. von einer Art Bürgergesellschaft etc., genau dies wäre aber der oben erwähnte fatale Rückschritt. Denn der Satz müsste lauten "Wir werden unser Leben ändern müssen, ob wir wollen oder nicht". Das ist dem "Bürgerlichen an und für sich" kaum zuzutrauen, dazu bräuchte es alle TeilnehmerInnen an Gesellschaft weltweit und dies würde die freie Marktwirtschaft ebenso beenden wie eine quasireligiöse Technikgläubigkeit.
Es wird Zeit für eine neue Technologie und eine Vergesellschaftung des Tatsächlichen, privat ist doch langweilig, mörderisch und kurzsichtig.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass diese Gurkentruppe von einer Regierung zurücktreten muss.
Martin Reiter
im Jahre 0 nach Fukushima
PS: Die Menschheit ist nicht "to big to fail", diese Annahme wäre dann doch ein etwas größenwahnsinniger Irrtum.
Kritikdesign am Leben erhalten / Donate for Kritikdesign now: