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Freitag, 30. September 2011
Zum Erbrechen!
(Bild: Reiter kotzt)
Freitag 30.09.2011, ich geh vor die Türe und finde die Wochenzeitung Die Zeit des Nachbarn im Flur, ein Blick genügt, mein Tag ist versaut. Das pseudointellektuelle Kampfblatt von neokonservativen Egobürgern, die sich gerne als Großbürger sehen würden, titelt: "5 Wahrheiten über Europa" und dann die Krönung des Ganzen "Europa wird nie bürgernah sein" oder "Es liegt nicht nur an den Griechen" oder noch wilder "Europa vergisst seine kulturellen Wurzeln". Die weiteren Punkte spare ich mir hier, sie sind zu banal, um darauf noch mehr Elektronen zu verschwenden.
Die Artikel sind langweiliger und rechter als der Spiegel, aber dafür sprachlich großbürgerlich gepimpter. Schreibstil a la "ich habe eigentlich auch keinen Schimmer aber interpretiere Presseagenturen, Cicero, Spiegel und Bild als angesagte Form des Journalismus". Aufgemotzt mit Hamburger Morgenpost kompatibler Frontseite feiert die Made in Germany-Tümelei und Wirklichkeitsverweigerung einmal mehr fröhliche Wiederauferstehung.
Ich möchte hier niemanden langweilen mit Darstellung und Gegendarstellung und schon gar nicht mit Argumenten, die dann doch nur das Tatsächliche übertünchen, ich wäre auch gar nicht klug genug dazu.
Aber Europa ist die bürgerliche Hölle an und für sich, das bedeutet aber nicht, dass jeder Wutbürger seinen Besitzstand wahren soll oder kann. Das Europa den Kleinbürgern, die froh sind auch mal was in die Zeitung schreiben zu dürfen, nicht so nah sein kann, ist ja wohl klar. Das Europa aber auch als föderaler Staat gedacht und organisiert werden könnte und damit menschennah würde - wäre dem "Dumpfbürger", vor allem dem Deutschen, wohl die schlimmste aller Visionen. Teilen statt Herrschen ist hierzulande wohl die erschreckendste aller möglichen Fantasien.
Die Griechen haben sich nur genauso dummdreist in die Eurozone geschmuggelt, wie alle Anderen auch. "Wahr" war bei dieser Währungsrochade so gut wie gar nichts, die sich daraus ergebenden Verhältnisse sollten vielleicht neu oder verkehrt herum gedacht werden.
Warum so schnell arbeiten? Warum nicht mit 60 in Pension gehen? Warum muss jeder testosterongetriebene Berufsjugendliche ein Auto fahren? Warum wird das Gemeinwesen geplündert, obwohl dies für die Mehrheit äußerst existenzbedrohend ist? Warum also nicht griechische Verhältnisse für ganz Europa fordern?
Spaß beiseite, wir alle brauchen mehr Europa, es wäre ein kluger Schritt dies voranzubringen, insofern muss man dem Finanzminister recht geben. Was wir nicht brauchen, sind halbgebildete neoliberale Putschisten in Wochenzeitungsredaktionen, die im Hamburger Bürger-Disneyland vor lauter Geld und Konsumhysterie die Tatsächlichkeit nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
So ist nämlich die 5te Wahrheit der Zeit vom 29.09.2011 doch schon eingetreten, "es geht nicht mehr um Krieg und Frieden", es ist wieder Krieg - Reich gegen Arm, Nord gegen Süd, Anleger gegen Staat und Volk. Dies bringt dann die 3te Wahrheit der Zeit Postille ins Wanken - "Europa vergisst seine kulturellen Wurzeln", in Wirklichkeit kann sie sich von diesem faulen Rhizom nicht befreien, sondern spielt den dumpfen römisch katholisch/protestantisch dominierten, für alle tödlichen Wahnsinn immer wieder durch.
Insofern gibt es vielleicht doch eine Wahrheit, es ist echt peinlich Europäer zu sein und den ganzen Investmentbankenquatsch mitzuverantworten.
Kündigen Sie ihr Zeit Abonnement, Zeit lesen macht sie weder reicher noch klüger noch großbürgerlicher. Zeit lesen ist Zeitverschwendung und die Co2 Bilanz ist auch ganz schlecht bei diesem Format. Die Welt ist komplexer als uns dies zu der Zeit erscheinen mag. Regulierung ist wieder angesagt, der klassische europäische Nationalstaat ist dazu zu klein, egal wie groß und mächtig er auf dem Kontinent erscheint. Die "Regionenrepublik Europa" aber hätte durchaus Hauptrollenqualitäten im globalen Theater. Die Wahrheit bzw. die Suche nach ihr ist schon lange eine unlösbare Angelegenheit der Geisteswissenschaften, aber diese wurden hierzulande ja wegrationalisiert, also kümmern sich nun die Journalisten darum - Oje, Privatisierung tut weh...
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