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Samstag, 10. Dezember 2022

SuTiqqun: Zeugin und Täter - Zur Geschichte des Kunsthauses Tacheles in Berlin [ISBN 978-3-948750-93-0]


248 Seiten + 30 Farbabbildungen und 15 Schwarz/Weiß-Fotos

Anfang der Neunziger Jahre exponierte sich die wilde Vorhut der Berliner Creative Class auf herrenloser Flur. Das Kunsthaus Tacheles schrieb als Echokammer der 80er-Jahre und begehrtes Schmuddelkind des Berlin-Tourismus in der Ruine einer prachtvollen Kaufhauspassage 22 Jahre lang Kulturgeschichte, die niemanden unversehrt ließ.

Es hat sich als Gesamtkunstwerk in die Erinnerung eingraviert und seine umstritttenen Meriten werden in Kürze aufgewärmt, wenn das Areal am Tacheles als nagelneues Luxusquartier noch einmal für Aufsehen sorgen wird.

Seine “identitätsstiftende” Architektur hausiert mit dem Label des einstigen Tacheles, das von Lust, Kunst und Dramen geprägt war, insbesondere von skurrilen Tragödien, die traumatische Krater bei den Beteiligten hinterliessen und einen Mythos, der die Geschichte überschreiben soll. Seine Hege und Pflege bewässert die massentaugliche Überlieferung, die jedoch die brachialen Umbrüche der Neunziger Jahre ausklammert. 

Als Zeugin und Täter erzählt Su Tiqqun von den Widersprüchen, den Irrtümern und Höhepunkten, den Unzumutbarkeiten und Katastrophen im Tacheles, indem sie Wirklichkeit rekonstruiert und die sozialen Verwerfungen des DDR-Verschwindens thematisiert – gewappnet mit einer unbequemen Wahrheit, um die Geschichte der Tacheles-Ära zu erzählen zu können: „Man muss die Toten ausgraben, wieder und wieder, denn nur aus ihnen kann man Zukunft beziehen.” ( Heiner Müller ). 

Die Toten des Tacheles, ihr Scheitern und Wirken, die überdimensionierte Pracht des Passagenbaus, der kurz nach seiner Fertigstellung 1909 pleite ging, der Selbstbetrug der Investoren, die das Tacheles und seine sonderbare Stellung zwischen Hoch- und Subkultur verwerten, deuten eine Hybris an, an der bisher alle Nutzer des Geländes gescheitert sind, um die in dieser Erzählung geht.

Moloko Print 187 | 2022 © Moloko Print Cover. Su Tiqqun Typesetting & Layout. rag, Wien Font. Garamond Druck. Bookstation.de Printed in Interzone 2022 www.molokoplusrecords.de/shop ISBN 978-3-948750-93-0

Preis: 24,00 Euro
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"Als Roman und Dokumentation lässt uns die Handlung von Zeugin und Täter – stilistisch breit gefächert – an einer Vernunft teilhaben, die sich keine Zukunft bescherte. 

Kunsthäuser werden gegründet und bleiben bis zum Systemwechsel, Hausbesetzungen – wie kreativ auch immer – werden terminiert, oder – noch schlimmer – legalisiert, und in den Kunstmarkt integriert.

Wer immer mal wieder ins Tacheles schneite, konnte was erleben, für die Insassen jedoch war es schon bald nach Gründung das „Böse Haus“. Da allerdings schon die 1905 gedungenen Architekten der Friedrichstassenpassage, die das Tacheles vor dem totalen Abriss rettete, megalomane Intuitionen hatten, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Zweit- und Drittnutzer in die Irre laufen, besonders in jener Krisen- und Umbruchsituation.

Anstatt Befreiung von staatlichen Zwängen, die ein Aufbruch hätte sein können, holten sich die Besetzer und späteren Betreiber freiwillig immer mehr Zwänge ins Haus, unter denen sie dann notgedrungen litten.

Von den Medien gehätschelt und geschmäht, hilflos und selbst schuld, versuchten sie, diese Bürde anderen Schultern aufzulasten. Su war eine von diesen Schultern, die – mehr oder weniger gewollt bzw. gezwungen – einen lebensrettenden Absprung schaffte. 

Ihre spezielle und erfrischend unkommerzielle Aufarbeitung des Tacheles-Komplexes, die hiermit einen Abschluss findet, thematisiert den Kampf gegen Entfremdung, Unterdrückung und Ausbeutung – gegen jede Form von Bedrückung. Auch über unsere Köpfe hinweg. Dafür ist dieses Buch ein weiterer Anstoß." (Bert Papenfuß)

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Su Tiqqun

1962 in Gera (Thüringen) als Susanna Karina Habraschka geboren, studierte von 1981 bis 1985 Literatur und Geschichte an der Karl-Marx-Universität Leipzig, danach Landverschickung. Zwei Jahre Unterrichtung der oberen Klassenstufen an der „Roten Posa“ in Sachsen-Anhalt. Von 1987 bis 90 Internatsbetreuerin und Dozentin für Deutsch und Geschichte am Proseminar Naumburg. 1990 Umzug nach Berlin.

Bis 1997 Weichensteller der Karrieren der Anderen im Kunsthaus Tacheles. Von 1994 bis 2010 Weblayout, Co-Konzeptor, Gelsomina und Tournéebeobachter französischer Zirkusproduktionen. 2010 bis 2012 in Klausur auf Chateau de Monthelon (Bourgogne, Frankreich), St. Wolfgang. und Wien. Von 2012 bis 2016 Texte für das Feuilleton der jungen Welt. Seit 2003 Lyrik und Prosa. Lebt in Berlin Prenzlauer Berg.

Bisher erschienen: Im Geröll des Auges, Schock Edition, 2011; Wolfgangseestörung, Art und Science, 2011; Trojaproben, Ebd., 2012; Heldenrückstände, Rothahndruck, 2016; Hirnspagat, Ebd., 2017.